Kapitel 2: Don Juan vom Kundendienst
Bei einem ersten Telefonanruf wurde mir mitgeteilt, dass mein Gepäck in Wien gefunden worden war, dass es aber momentan unmöglich sei zu erfahren, wann es nach Paris geschickt werden würde und ich zu einem späteren Zeitpunkt zurückrufen sollte, um diesbezügliche Informationen zu erhalten. Was ich auch tat. Ein erstes Mal gegen Mittag, wo man mir noch immer nicht mehr sagen konnte als einige Stunden zuvor und ein weiteres Mal gegen Abend.
Dieser zweite Anruf verdient übrigens eine eingehendere Beschreibung. Ich erfuhr zuerst, dass mein Gepäck in Roissy angekommen war, es aber nicht vor Montag geliefert werden könne. Als ich den Einwand vorbrachte, dass man mir noch am Morgen des selben Tages versichert hatte, dass ich mein Gepäck im Laufe des Tages erhalten würde, fragte mein liebenswürdiger Gesprächspartner nur, ob mir diese Information von einer weiblichen Stimme anvertraut worden war. Als ich bejahte, folgte prompt die Antwort "wundert mich gar nicht, schon wieder eine, die keine Ahnung von ihrem Job hat" [sic!].
Höflicherweise enthielt ich mich jedweden Kommentars und versuchte nur ihm zu erklären, dass diese Verzögerung ein erhebliches berufliches Problem für mich darstellte, da sie mich zwang, ein Mittel zu finden, am Samstag abend (!) jenen Kunden abzusagen, bei denen ich am Montag vorsprechen sollte. Mein Gesprächspartner zeigte sich hinsichtlich der Tatsache, dass ich Unternehmensberaterin bin äußerst enthusiastisch, weil er "sich eh gerade eine suche" [sic!]. Dass eine Verzögerung in der Lieferung meines Gepäcks mich in eine höchst unangenehme berufliche Situation brachte, schien ihn hingegen eher weniger zu beunruhigen. Seine Begeisterung erreichte ihren Höhepunkt als er erfuhr, dass ich in Wien lebe und arbeite und er teilte mir mit, dass er von der Idee eines Besuches der österreichischen Hauptstadt höchst angetan wäre, da er ja nun über meine Adresse in dieser Stadt verfüge. Angesichts der Tatsache, dass ich ihm offenbar sehr sympathisch erschien und wir ja immerhin schon seit einigen Minuten telefonierten, begann mein Gesprächspartner mich freundschaftlich zu duzen, mir ein paar halbseidene Komplimente hinsichtlich meiner "schönen Stimme" zu machen, um mich in der Folge zu fragen, ob wir uns nicht noch am selben Abend in Paris treffen könnten. Auf meine negative Antwort hin unternahm der wagemutige Don Juan vom Kundendienst einen letzten Versuch: Ob er mich denn nicht unter der französischen Telefonnummer, die ich bei Verlust meines Gepäcks angegeben hatte, kontaktieren könne.
Ich zwang mich, angesichts solcher Vorschläge Ruhe zu bewahren, das Gespräch wieder auf die Bahnen meines verlorenen Gepäcks zu lenken und versuchte, den Zeitpunkt zu erfragen, ab dem ich hoffen könnte, am Montag mein Gepäck und vor allem die in diesem enthaltenen beruflichen Dokumente zu erhalten . Diese Wendung in der Konversation schien meinen Gesprächspartner viel weniger zu inspirieren als der Gedanke an ein romantisches Rendez-Vous in Paris und er versicherte mir sogleich, über keine diesbezüglichen Informationen zu verfügen, ich solle einfach am Montag zwischen 8 und 22 Uhr zu Hause bleiben, um die Lieferung durch die von AirFrance beauftragte Partnerfirma nicht zu versäumen, oder eben dieses Unternehmen telefonisch kontaktieren, da es als einziges über genauere Informationen hinsichtlich des Liefertermins verfüge.
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